Fanfarella
Life & Styleblog von Julia Schicho

Storytime: Vielleicht sind wir heute am glücklichsten


Vor ungefähr zwei Jahren habe ich Andreas an einem Abend folgendes gesagt: „Ich glaube, dass wir jetzt am glücklichsten sind.“ Er war sich nicht sicher und wollte mir nicht zustimmen. Bis heute hat mir dieser Gedanke keine Ruhe gelassen und war Inspiration, für die folgende storytime:

Fanfarella // Storytime: Vielleicht sind wir heute am glücklichsten

Vielleicht sagen wir in einem Jahr, dass wir genau jetzt – also heute – am glücklichsten waren.” Emma sah ihren Freund Chris von der Seite fragend an und wartete auf eine Antwort. Sie haben sich, wie fast jeden Abend nach der Arbeit, auf das Sofa vor dem Fernseher gekuschelt und ließen den Tag Revue passieren. Sie arbeiten beide bis spät abends und finden während der Arbeitswoche nur wenig Zeit füreinander, aber dieses kleine Ritual hatte sich bei ihnen etabliert.

Sie erzählte häufig von ihrer Mittagspause und den Dingen, die sie währenddessen beobachtete, denn diese Beobachtungen sind das Interessanteste an ihrem Job im Call-Center, den sie nur widerwillig angenommen hatte. Und er erzählte meist von seinem Chef, dessen größtes Talent es war, Chris in peinliche Situationen zu bringen. Wie heute, als er Chris von seiner Affäre mit der eigentlich frisch verheirateten Kollegin Isa berichtete, für deren Hochzeitsgeschenk Chris und Emma letztes Jahr ein kleines Vermögen ausgegeben hatten: Ein Gutschein für einen Wellness-Trip. Zusätzlich mussten sie noch zwei Nächte im teuren und altbackenem Hochzeitsschloss bezahlen. Macht euch einen kleinen Urlaub daraus – haben sie gesagt. Als würden sie ihren Urlaub im Hochsommer in einem stickigen Gebäude mitten im Nirgendwo zwischen langweiligen Mais- und Rapsfeldern verbringen. Bis heute fragt sich Chris, weshalb sie so viel Geld für Isas Hochzeit ausgegeben hatten. Man sollte Hochzeitsgeschenke nach der Trennung eines Paares innerhalb eines Jahres, zurückfordern können, da sind sich beide einig.

Das Besondere am heutigen Abend ist, dass sie zum ersten Mal auf ihrem neuen Sofa ihr Ritual zelebrierten. Es war ein nachtblaues Ecksofa, das sie mit etwas Abstand zur Bücherwand im Wohnzimmer platziert hatten. Genau so, wie es auf dem einen Bild von Pinterest aussah, welches Emma als Vorlage diente. Der Raum war nur durch die alte Stehlampe von Chris Großmutter beleuchtet, die am anderen Ende des Sofas stand und so zogen harte Schatten durch den sonst karg möblierten Raum.

Chris atmete tief ein und blies die aufgestaute Luft zischend wieder aus. Er ahnte bereits, worauf dieses Gespräch hinauslaufen würde, denn Emma denkt gerne und viel nach, verfällt mit Leichtigkeit über Stunden ins Grübeln.

“Möchtest du über etwas reden? Ist es wegen Mark und seiner Affäre mit Isa?” fragte er sie wissend.

“Nein, eigentlich nicht. Wobei, vielleicht doch. Ich meine das ernst Chris, ich glaube wirklich, dass wir jetzt – vielleicht sogar heute – am glücklichsten sind. Dass es nicht mehr besser wird. Wir lieben einander, haben Vertrauen und viele Pläne. Uns plagen keine Geldsorgen, wir sind gesund und reisen viel. Unser Leben liegt gefühlt noch vor uns und ein Scheitern unserer Pläne ist nicht berücksichtigt. Genau deshalb glaube ich, dass wir irgendwann auf diesen Moment zurückblicken werden und erst dann erkennen werden, dass wir heute am glücklichsten waren.”

Chris liebte diese nachdenkliche Seite an Emma und sie führte dazu, dass ihnen nie der Gesprächsstoff ausging, doch manchmal passierte es, dass sie sich in einem Gedanken zu verlieren schien. Dann zieht dieser Gedanke Kreise, wird weitergesponnen und sie verfängt sich sich darin, kann sich nur schwer von ihm lösen. Ihre Nachdenklichkeit wird innerhalb kurzer Zeit destruktiv und diese Entwicklung muss er jetzt unterbrechen. Das ist einer seiner Jobs in ihrer Beziehung.

“Komm her meine Süße, lass dich umarmen und dir eines gesagt sein: Wir werden an diesen Moment bestimmt einmal zurückdenken. Aber nicht weil wir jetzt am glücklichsten waren, sondern weil es der Abend war, an dem wir zum ersten Mal auf unserem wunderschönen, von Schokolade und Ketchup noch unbeflecktem Sofa den Abend verbrachten. Wer trägt eigentlich die Verantwortung für diese Farbwahl? Wir werden hier nie Sex haben können!”

Emma wurde erfolgreich aus ihrer Nachdenklichkeit gerissen und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie war sich nicht sicher, ob es sie stört, dass er ihre Gedanken nicht ernst zu nehmen schien, oder, ob sie dankbar war, dass er für gute Stimmung sorgen wollte. Sie entschied sich für letzteres und kuschelte sich noch enger an Chris, der sie fest an sich drückte, legte ihr rechtes Bein über seine und schob eine Hand unter sein Shirt. Ihr Kopf lag eine Zeit lang schwer auf seiner sich regelmäßig hebenden und senkenden Brust, als sie die Anspannung in seinen Muskeln spürte, die sie darauf vorbereitete, dass er aufstehen würde. Sie war innerlich noch nicht bereit, sich von seiner Umarmung zu lösen, deshalb rückte sie nur recht widerwillig von ihm ab und merkte zu spät, dass das neue Sofa nicht so breit war, wie das alte. Sie verlor das Gleichgewicht, kippte nach hinten und erwartet den Aufprall auf den Holzboden in jedem Moment. Mit einem festen Griff umfasste Chris ihre Hüfte rechtzeitig und verhinderte den schmerzhaften Fall, drückte ihren Körper an sich und dirigierte mit seiner anderen Hand in ihrem Nacken, Emmas Kopf auf seine Augenhöhe.

“Hier geblieben,” brummt er ihr ins Ohr.

“Jetzt wäre ich beinahe gefallen,” keuchte sie erschrocken und ihr Herz klopfte vor Schreck bis zum Hals.

“Aber nein, ich fange dich auf. Ich werde dich immer auffangen und auf dich Acht geben.” Er blickte ihr tief in die braunen Augen und bewunderte den dichten Wimpernkranz, den sie glücklicherweise nur sehr nachlässig mit Mascara schminkt, denn am schönsten ist sie in seinen Augen ungeschminkt. Und das wusste sie. Ihre langen braunen Haare hatte sie zu einem lockeren Zopf gebunden, aus dem sich bereits einige Strähnen gelöst hatten und ihr wild ins Gesicht fielen. Er widerstand der Versuchung eine der Strähnen aus ihrem Gesicht zu streichen, denn eigentlich gefiel ihm dieses zerzauste Aussehen, das nur er zu Gesicht bekam und sonst niemand. Sein durchdringender Blick ließ Emma zusehends nervöser werden und sie begann sich in seinem festen Griff zu winden.

“Niemand wird dich je so lieben, wie ich dich”, gestand er ihr und erreichte damit, was er geplant hatte: Sie hielt abrupt inne und schenkt ihm einen ihrer unverhüllten Blicke, aus denen er lesen konnte, wie aus einem Buch. Nicht jetzt, beschloss er. Jetzt soll sie nicht das Gesagte hinterfragen, das kann sie später nachholen. Denn jetzt, will er sie mit sich mitreißen, in seine stürmische und gedankenlose Welt, die erst sie in ihm entfacht hatte. Dort soll sie nach Luft schnappen, bis ihre eigentliche Natur Oberhand gewinnen wird und nicht anders kann, als sich dem Strudel der Gefühle hinzugeben, selbst Fahrt aufzunehmen und alle Bedenken über Bord zu werfen.

Vielleicht waren sie an diesem Abend am glücklichsten, aber wahrscheinlicher ist, dass sich das Glück in der Zukunft ganz anders anfühlt, als jenes von heute.

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